Ein Freund unserer Zeit
166 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Ein Freund unserer Zeit , livre ebook

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Description

Percy Hartmann lebt als Mittelschullehrer in Biel. Durch ein Telegramm erfährt er, dass sein Jugendfreund Roy, den er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, in Sizilien gestorben ist. Das ist der Anfang einer Begegnung mit der Vergangenheit. Hartmann fährt zur Beerdigung nach Sizilien, lernt dort die Freunde seines alten Freundes kennen, versucht dessen Nachlass zu ordnen. Er stösst auf Briefe und Dokumente, die Roy für ihn und andere hinterlassen hat. Als er sie, zurück in der Schweiz, an die Adressaten übergibt, kommen viele Dinge ins Rollen und führen in die Zeit, als sein verstorbener Freund Roy in Deutschland und in der Schweiz politisch aktiv war. Die Lage spitzt sich zu, als gegen Percy eine Untersuchung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eingeleitet wird und er in der Folge seine Stelle als Gymnasiallehrer verliert. Percy sieht sich als Spielfigur auf einem Schachbrett, herumgeschoben von Akteuren, die teilweise verborgen bleiben und deren Absichten er nicht durchschaut. Die Konturen zwischen Freund und Feind verschwimmen.Der Roman Ein Freund unserer Zeit ist mehr als ein Politkrimi. Er ist vor allem auch die Geschichte einer Freundschaft und einer Reise in die Vergangenheit, deren wahre Dimensionen sich dem Protagonisten erst im Lauf der Ereignisse eröffnen.

Sujets

Informations

Publié par
Date de parution 18 mai 2015
Nombre de lectures 1
EAN13 9783859902534
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)

Informations légales : prix de location à la page 0,0840€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Roger Staub
Ein Freund unserer Zeit
edition 8

Roger Staub
Ein Freund unserer Zeit
Roman

Verlag und Autor danken herzlich dem
für den Beitrag an dieses Buch.


Besuchen Sie uns im Internet: Informationen zu unseren Büchern und AutorInnen sowie Rezensionen und Veranstaltungshinweise finden Sie unter www.edition8.ch
Bibliografische Informationen der Deutschen National-Bibliothek sind im Internet abrufbar unter http://dnb.ddb.de .
April 2015, 1. Auflage, © bei edition 8. Alle Rechte, einschliesslich der Rechte der öffentlichen Lesung, vorbehalten. Lektorat: Jeannine Horni, Korrektorat: Geri Balsiger: Typografie: Heinz Scheidegger, Umschlag: Jean-Marc Seiler; Druck und Bindung: Beltz, Bad Langensalza.
Verlagsadresse: edition 8, Quellenstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41/(0)44 271 80 22, Fax +41/(0)44 273 03 02, info@edition8.ch
E-Book: Schwabe AG, www.schwabe.ch
ISBN 978-3-85990-253-4


I. Buch
1
Jetzt, im Zug, fliegen die Masten vorbei, Zeitstäbe, im Näherkommen beschleunigt, um unaufhörlich am Ende des Blickwinkels auszuschlagen. Am Horizont verschieben sich Flucht- und Bezugspunkte ins Unendliche: Es gleicht einem Tanz der Objekte um die Gunst des vorbeiziehenden Betrachters. Was sagen die Dinge uns? Sehen sie mich an, so wie ich sie ansehe, oder bin ich ihnen so gleichgültig wie sie mir? Oder machen mich die Dinge zu etwas, woraus sie ihr Wesen beziehen? Benutzen sie mich? Vielleicht lachen sie mich nur aus. Dabei lägen sie nicht einmal so falsch. Gewiss ist, dass mich die Zeitstäbe unwiderruflich auf ein mir unbekanntes Ziel hinschlagen. Und dass sich mein Gesicht im Glas widerspiegelt, durch das ich auf die vorbeiziehende Landschaft schaue und dabei erkenne, dass ich älter geworden bin. Auch das scheint gewiss. Oder ist auch das nur Trug und meine ich nur zu sehen, dass ich gealtert bin, während ich in Wahrheit stehengeblieben bin und mein Gesicht sich verändert hat, um meinen Stillstand zu verbergen?
Immer noch meine ich, die Stäbe rasten auf mich zu, dabei rase ich ihnen entgegen und an ihnen vorbei. Nein, weder noch, es ist alles Trug, auch die Zeit. Aber wenn die Stäbe es anders sehen? Wenn ich den Kopf hinhalte, wird es sich zeigen …

Die Mitteilung war amtlich und trug den Absender der Gemeinde. Ich wunderte mich, wieso ich Post aus Sizilien bekam. Der Eilbrief war in fehlerfreiem Deutsch geschrieben.
Sehr geehrter Herr Hartmann,
Wir setzen Sie in Kenntnis des Todes von Roy Brousse, geboren am 20.7.1944 in Biel. Der Tote wurde gestern von einem Freund, dem Schafhirten Pasquale Lucetti, entdeckt. Vermutlich starb er bereits am 28. ds. Aus den in seiner Hütte vorhandenen Unterlagen geht nichts hervor, was auf Verwandte schliessen liesse. Lediglich Ihren Namen, den es in der Schweiz glücklicherweise nur einmal gibt und der uns hoffen lässt, den Richtigen gefunden zu haben, entdeckten wir in der Widmung eines Buches, das in der antiquarischen Librairie Chrétien de Troyes in Biel gekauft wurde.
Der Verstorbene lebte zurückgezogen, Besuche aus dem Ausland hatte er nach unseren Kenntnissen nicht. Dürfen wir Sie bitten, Abklärungen hinsichtlich einer Verwandtschaft vorzunehmen? Der Verstorbene hinterlässt nicht viel, aber seine Hütte ist – abgesehen von Gegenständen des täglichen Gebrauchs und einigen von eher symbolischem Wert – voll von Büchern, Schriften und Manuskripten.
Wir wissen nicht, in welchem Verhältnis Sie zum Verstorbenen stehen, aber vielleicht wären Sie – in Ermangelung irgendwelcher Verwandter – in der Lage, den bescheidenen Nachlass zu sichten und zu übernehmen. Schulden oder Ansprüche sind – abgesehen von den Beerdigungskosten – keine bekannt.
Sofern wir von Ihnen keine Botschaft erhalten, werden wir den Verstorbenen am Sonntag, 8. Februar, auf dem Dorffriedhof christlich begraben. Die Kosten belaufen sich auf 350 Euro.
30. Januar 2004
gez. Salvatore Dadó (Gemeindepräsident), i.A. Carla Lucetti
Ich konnte mich nicht erinnern, in den letzten Jahren an Roy gedacht zu haben, und wie viel länger musste es her sein, dass ich ihn gesehen oder etwas von ihm gehört hatte? Zwanzig Jahre? Mehr? Manchmal war er noch ein Gesprächsthema, zum Beispiel zwischen Regula und mir.
Ich wusste nicht, weshalb er nach Sizilien gezogen war, doch ich erinnerte mich, gehört zu haben, dass einer seiner Vorfahren mütterlicherseits aus Oberitalien in die Schweiz eingewandert und noch am Bau des Gotthardtunnels beteiligt gewesen war. Vielleicht waren da noch alte familiäre Spuren, denen er gefolgt war.


2
Ich war nie Lehrer mit Leib und Seele. Nicht, dass mir mein Job und die Schüler zuwider gewesen wären, doch mein Studium hätte mir eigentlich eine Karriere in der Wirtschaft oder Verwaltung sichern sollen. Zu den Schülern hielt ich eine – wie mir schien – notwendige Distanz. Ich engagierte mich kaum und tat, was verlangt war. Alternativen hatte ich keine.
Kollegen, mit denen mich eine Freundschaft verbunden hätte, fand ich an der Schule nicht. Ihr Geschwätz um Verdienst, Autokauf und Altersvorsorge stiess mich ab, doch fiel das in Momenten der Selbstbesinnung auf mich zurück, weil ich in ihnen einen Teil von mir wiedererkannte. Ich enthielt mich aller Bürokratie, überliess Sitzungen und die Ausarbeitung neuer Reglemente, Verordnungen oder Reformprojekte anderen, die zwar ob der Last jammerten, solche Aufgaben jedoch als willkommenes Mittel sahen, um ihren Ehrgeiz zu beflügeln und wenngleich kleine, so doch innerinstitutionell bedeutsame Karriereschritte zu machen. Man nahm mir meine administrative Abstinenz übel, und es stimmte ja auch, sie entsprang purem Egoismus; ich las lieber ein unterhaltsames Buch. Bei Vorwürfen lächelte ich, was natürlich den Eindruck von Arroganz und die Abneigung meiner Kollegen nur verstärkte. Das traf nicht auf alle zu; einige schätzten mich dieser »Unabhängigkeit« wegen, dabei war es doch nichts anderes als Bequemlichkeit.
Ich rief Regula an, um ihr den Tod von Roy mitzuteilen. Seit sieben Jahren lebten wir in getrennten Wohnungen. Wir – das heisst, vielleicht war ich da die treibende Kraft – waren zu der Einsicht gekommen, dass jeder seinen Freiraum brauchte. Den Schritt zur Trennung hatten wir nach durchaus vernünftigen Gesprächen getroffen. Irgendwie hatte unsere Zuneigung nachgelassen; sie beklagte vor allem, dass das gemeinsame Gespräch über alltägliche, aber auch politische oder kulturelle Themen nicht lief. Auch würde ich mich nicht wirklich für ihr Leben interessieren. Im Grunde hatte sie recht. Mir hingegen fehlte die körperliche Nähe. Sie hätte gerne Kinder gehabt, doch es klappte nicht. So zog ich mich von ihr zurück. Wir schliefen in getrennten Zimmern.
Irgendwann entschieden wir uns, getrennt zu leben. Das sollte die gespannte Lage entschärfen. Doch eigentlich war mir von vornherein klar, dass dieser Schritt früher oder später zur Auflösung unserer Ehe führen würde. Wir verstanden uns aber weiterhin gut, sahen uns zu Beginn unserer Trennung regelmässig, dann immer seltener. Regula war Kunstmalerin und inzwischen in der Region einigermassen bekannt, was ihr erlaubte, vom Verkauf ihrer Bilder zu leben. Sie schien das Alleinsein zu schätzen und widmete sich ganz ihrer Arbeit. Ich erzählte ihr aus Taktgefühl nichts von meinen gelegentlichen Begegnungen mit anderen Frauen.
Es erstaunte mich, dass sie auf meine Mitteilung von Roys Tod kein Wort herausbrachte.
Sie fragte nur, ob ich zum Kaffee käme.
Sie trug das lange blaue Kleid aus unverwüstlichem Leinenstoff, das sie besass, seit ich sie kannte. Trotz der Fältchen um die Augen und einzelner grauer Haare waren die Bewegungen ihres fülligen, aber festen Körpers jugendlich. In Momenten, wo ich dies beobachtete, stand ich fassungslos vor der Tatsache, dass ich über die Feststellung ihrer Schönheit hinaus keinerlei Anziehungskraft mehr verspürte.
Als ich ihr den Brief zeigte und sagte, ich würde nach Sizilien fahren, erwiderte sie nichts und schaute mich traurig und besorgt an. Roys Tod schien sie mehr mitzunehmen als mich und tags darauf fand ich in meinem Briefkasten eine kurze Botschaft »Reise gut und pass auf Dich auf!« Auf der Karte sah man einen Schwarm fliegender Vögel und darunter standen die Worte eines russischen Dichters: »Als ich die Kraniche wegfliegen sah, war ich heiter und wünschte ihnen eine gute Zeit. Als sie zurückkamen, sah ich, dass sie die Schwere der Erinnerung trugen.«
Am nächsten Tag rief ich die Gemeinde in Sizilien an. Glücklicherweise sprach der Gemeindepräsident gebrochen Englisch. Ich bestätigte ihm, dass ich ein guter Freund des Verstorbenen gewesen sei. Verwandte fänden sich keine. Zur Beerdigung am nächsten Sonntag hoffte ich rechtzeitig zu kommen. Wenn ich beizeiten dort sein wollte, würde ich am Morgen die Fähre ab Genua nehmen müssen, um am übernächsten Tag in Sizilien einzutreffen und genügend Zeit zu haben, den Nachlass zu sichten. Ich würde also den Mittagszug über Mailand nach Genua nehmen. Ein Flug wäre bedeutend einfacher und schneller gewesen. Doch einerseits hatte ich seit jeher eine irrationale Flugangst, und andererseits sehnte ich mich nach einer Schifffahrt.
Jetzt, auf dem Bahnhof, betrachtete ich meinen Entscheid zu reisen mit gemischten Gefühlen. Er erschien mir plötzlich als egoistische Flucht – doch bedurfte es einer Reise, um zu fliehen?
Der Drang wegzufahren, ja ein schon lange schwelendes Bedürfnis nach Einfachheit beherrschten mich von dem Moment an, als ich von Roys Tod erfahren hatte. Das wurde mir jetzt mit einem Mal klar, als ich die hohe Summe von dreitausend Euro abhob. In mir stellte sich ein gemischtes Gefühl aus Unruhe und Freude ein.
Bevor ich abfuhr, versuchte ich vergeblich, Regula zu erreichen.


3
Nun, im Zug nach Genua, kamen die Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit mit Roy in Biel zurück, langsam aber unaufhaltsam. Die noch fast verkehrsfreie Strasse d

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